SIGINT09 - final8
SIGINT 2009
22. - 24. Mai, Köln
Speakers | |
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Peter Röttges | |
Sebastian Rothlauf |
Schedule | |
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Day | The Future of Everything - 2009-05-24 |
Room | Vortragsraum (MP6) |
Start time | 15:00 |
Duration | 01:00 |
Info | |
ID | 3212 |
Event type | Lecture |
Language used for presentation | German |
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Eine radikal-liberale Perspektive zu den Chancen und Risiken in der technisierten Gesellschaft
Die Technisierung der Gesellschaft schreitet immer weiter voran, wird sie von Grund auf verändern, zum besseren oder zum schlechteren. Dieser Prozess macht es nötig, über die Grundstrukturen gesellschaftlichen Zusammenlebens zu diskutieren und moralüberladene und überholte Vorstellungen zu verwerfen, um dynamische Gesellschaftsformen zu entwickeln. Aktuell dominieren wohl zwei Strömungen in der Gesellschaftsregulation: die der globalen und die der lokalen Einflussnahme. Globale Einflussnahme versucht eine a priori Einheit zu verstehen und zu steuern, also mit und durch Technik das Leben des Menschen zu bestimmen. Die Strömung der lokalen Einflussnahme, begreift diese Prozesse als Netzwerke von Einzelentscheidungen und daher als sich organisch selbst-steuernd. Organisch heißt hier: Das Individuum wird gerade dadurch zum Rechtssubjekt, dass es technisiert. Es ist also die begrenzte Anwendung instrumenteller Vernunft, die den Menschen als solchen auszeichnet. Wir wollen zeigen, wie globale Steuerung zu faschistoiden Systemen führt und als Gegenentwurf eine Weiterentwicklung der modernen Demokratie vorstellen.
Die Konzeption der Menschenrechte, wie sie heute als allgegenwärtiges und unbezweifelbares Dogma die Gesellschaft bestimmen, steht auf tönernen Füßen, auf der letztlich religiös begründeten Annahme, der Mensch sei von Natur besonders. Besonders ist aber in Wirklichkeit nur derjenige, der sich konsistent als Rechtssubjekt versteht. Alle Rechte des Einzelnen kommen also nicht von seiner Zugehörigkeit zu einer biologischen Klasse, sondern von seinem eigenen konsistenten fiktionalen Bestehen auf seinen Rechten. Bestehen ist aktiv begründendes Besitzen. Besitzen ist zunächst nur das fundamentale Faktum, dass ein Individuum einen Platz oder ein Objekt exklusiv einnimmt. Es endet mit der Bewegung des Individuums zu einem anderen Platz. Es gibt aber spätestens seit Beginn des Ackerbaus berechtigtes Interesse, Ansprüche auf einmal Besessenes zu erheben, auch wenn der ursprüngliche Besitz bereits beendet ist. Entsprechende Regelung auszuarbeiten ist das qualifizierte Bestehen. So ist das ursprüngliche Grundrecht Eigentum. Dieses Recht kann als einziges eine Brücke zwischen der physischen Welt und der fiktiven, immateriellen Sphäre des Rechts schlagen. Die jetzigen Basismenschenrechte wie das Recht auf Leben oder die Würde des Menschen sind in ihrer Natur unbestimmt, wenig oder nur emotional begründet und können daher beinahe nach Belieben uminterpretiert werden, taugen daher nicht als Fundament für eine vernünftige Gesellschaftsordnung. Sie haben durch ihre Unbestimmtheit zu einem auf Vorurteilen und Trugschlüssen basierenden Rechts- und Moralempfinden geführt, das nicht in der Lage ist, mit den pervasiven und ubiquitären Umwälzungen, die moderne Technik mit sich bringt, umzugehen. Stattdessen müssen immer neue bürokratische Hilfskonstruktionen geschaffen werden, die durchzusetzen immer tiefgreifendere staatliche Kontroll- und Eingriffsbefugnisse erfordert. Ein klares und flexibles, auf Eigentum basierendes Grundrechtsgerüst ist dagegen zur Durchsetzung nicht auf einen Leviathan angewiesen, sondern kann von den Betroffenen überwacht und eingefordert werden. Dazu wird nur ein im Vergleich zu einer vorab regulierenden Exekutive wesentlich unproblematischeres Letztentscheidungsprozedere, eine Judikative, benötigt. Diese sollte idealerweise nicht wie bisher hierarchisch organisiert sein. Stattdessen sollte versucht werden, einen Diskurs zu institutionalisieren. Wir werden hierzu ein System vorstellen: stare argumentatis anstelle von stare decisis. Dieses ist eingebunden in eine weiterentwickelte Gewaltenteilung, die sowohl durch die Arbeit Sun Yat-Sens, den kreativen Einsatz moderner Technologie als auch die radikale Infragestellung althergebrachter Grundsätze, besonders des Wahlrechts, geleitet ist.
Die Möglichkeiten zum Diskurs und zur politischen Mitbestimmung veränderten und verändern sich grundlegend. Die Konzepte zur Regelung dieser Mechanismen, welche die westlichen Verfassungen vorsehen, stammen bestenfalls aus dem 19. Jahrhundert und sind mittlerweile obsolet. In weiten Teilen der Bevölkerung ist dafür auch schon ein intuitives Verständnis vorhanden, wie man an der Resonanz des Wandelsversprechens eines Barack Obama erkennen konnte. In den politisch herrschenden Kreisen ist man aber zur Umsetzung des fundamentalen Wandels noch nicht bereit, daher enttäuschen auch alle die völlig oberflächlichen Maßnahmen, die der Präsident der Vereinigten Staaten bisher eingeleitet hat. Notwendig ist eine Verfassungsreform und damit auch ein Abschied von einigen der Instrumente, die uns als selbstverständlich und notwendig erscheinen. Das Demonstrationsrecht, notwendig zu einer Zeit als Zugriff auf eine Kommunikationsinfrastruktur, die natürlichen Monopolbedingungen unterliegt, Voraussetzung war für die Teilnahme am politischen Diskurs, ist heute weitgehend obsolet. Stattdessen sollten Interessenvertretern mit zunehmender Bedeutung immer strengere Auflagen gemacht werden, emotionalisiertes Argumentieren zu unterlassen. Gleichzeitig kann die Möglichkeit der elektronischen Wahl, soweit man bereit ist, das Wahlgeheimnis aufzugeben oder zu modifizieren, genutzt werden, direkte und repräsentative Elemente der Demokratie zu verschmelzen. Es ist möglich, die heutige kaum legitimierte und kaum versteckte Kastenexpertokratie mit ihrer Pseudo-Öffentlichkeit, die sich auf emotionalisiertes Phrasendreschen beschränkt, durch ein System zu ersetzen, welches durch vernünftige Selbsteinschätzung eine geleitete selektive und ständig veränderbare Kompetenzabgabe an vertrauenswürdige Repräsentanten in Feldern erlaubt, in denen der jeweilige Wähler nur dilettiert, aber auch direkte Mitentscheidung auf Gebieten eigener Kompetenz zulässt. Die Sicherheit gegen unangemessene Beeinflussung, welche die Anonymität bietet, ist durch eine tatsächliche Widerstandmöglichkeit der Bürger ähnlich gut herzustellen. Wie auch das derzeitige Widerstandsrecht ist die geheime Wahl letztlich nur eine Scheinsicherheit die gegen einen autoritären Staat ohnehin nicht durchzusetzen ist. Die klassische Gewaltenteilung ist heute nicht mehr ausreichend. Jede Grundfunktion des Staates sollte durch einen eigenen Apparat wahrgenommen werden. Kontroll- und Gesetzgebungsfunktion die heute in der Legislative zusammengefasst sind, gehören getrennt. Speziell in Deutschland sollte die Legislative stärker von der Exekutive getrennt werden. Aus welcher wiederum die Kompetenz zur Ernennung der Administratoren herauszulösen ist. Eventuell sollten auch Administrative und Gouvernative getrennt werden. Verantwortung für gesamtgesellschaftliche Ziele darf nicht durch Gesetze wieder auf den Einzelnen zurückverlagert werden. Aus ideologischer Sicht wird dadurch eine zu starke Identifikation von Mitglied und Gesellschaft gefördert. Aus praktischer Sicht werden Kosten und Nutzen verschleiert und ungleich verteilt. Das beste Beispiel für einen solchen Vorgang sind die Immaterialgüterrechte. Sie sind nur dadurch begründet dass sie einem „greater good“ dienen. Die Kosten dafür werden durch einen scheinbaren Marktmechanismus solange umverteilt bis niemand mehr diesen Vorgang nachvollziehen kann. Interessengruppen können beliebig Argumente produzieren, warum einzelne Maßnahmen sinnvoll sind. Tatsächlich ist aber Implementation ebenso wichtig wie Innovation selbst, sie wird aber durch „Rechte“ an Ideen eher behindert. Innovation kann auch durch Wettbewerbe, klassische Forschungsförderung und Stiftungen in selbem Maße wie bisher ermöglicht werden. Besonders da der Anteil von Forschung und Entwicklung auch heute zwei Prozent des BIP nicht übersteigt, wäre ein solches Vorgehen aus dem Staatshaushalt durchaus zu finanzieren. Auch bestehen weitere grundsätzliche Zweifel an Immaterialgüterrechten: Ein Eigentumsrecht kann nicht nur begründet sein als Mittel zu einem dubiosen Zweck. Alle Rechte müssen von einem allein durch ein Individuum begründbaren Anspruch getragen sein. Ein solcher Anspruch ist für das Eigentum an materiellen Dingen durch den Besitz leicht herzustellen. Dieser kann aber nicht auf wirtschaftliche Verwertungsinteressen übertragen werden. Der Blick nur auf Copyright oder Patente greift aber zu kurz, auch Persönlichkeitsrechte aller Art sind nicht vernünftig herleitbar. Privatsphäre und Verdienstmöglichkeiten können nicht vom Staat garantiert werden sie müssen immer neu erkämpft werden. Sollten entsprechende Maßnahmen nicht eingeleitet werden steht zu befürchten, dass sich ein totalitärer Staat entwickelt.