SIGINT10 - final10
SIGINT 2010
Konferenz für Netzbewohner, Hacker und Aktivisten
Referenten | |
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Malte Spitz | |
Simon Edwin Dittrich |
Programm | |
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Tag | Day 1 - 2010-05-22 |
Raum | KOMED Saal (MP7) |
Beginn | 12:00 |
Dauer | 00:45 |
Info | |
ID | 3843 |
Veranstaltungstyp | Vortrag |
Track | Netzbewohner |
Sprache der Veranstaltung | deutsch |
Feedback | |
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Schöne neue kreative Welt
Massig Content und kein Geld – Anmerkungen zur Debatte um die Kulturflatrate
Die Debatte um das Urheberrecht in der Digitalen Welt reißt nicht ab. Die Akteure in der Debatte sind wohl bekannt; die Positionen verhärtet. Die Netzgemeinde und die Lobbyverbände der Medienindustrien sind fest im Thema und der politische Diskurs intensiviert sich, befeuert von der Debatte um Leistungsschutzrechte für Presseverleger. Wir wollen zur Versachlichung des Diskurses beitragen und dafür zunächst den aktuellen Stand der Debatte wiedergeben um anschließend mit euch zu diskutieren. Neben urheberrechtlichen Grundlagen zählen dabei auch #ACTA und #VDS zu den zu berücksichtigenden Entwicklungen. Anschließend wollen wir mit euch eine Diskussion zur technischen Machbarkeit eines datenschutzfreundlichen, manipulationsresistenten statistischen Messsystems für P2P-Pauschalenausschüttung führen
In einer Einführung soll die Entstehung und Legitimationsgrundlage des Urheberrechts beleuchtet werden. Nach einem kurzen Abstecher in Richtung Urheberrechtsnovellen und Abmahnmaschinerie wollen wir einen Einblick in die relevanten politischen Vorgänge liefern. Dazu gilt es den aktuellen Stand der ACTA Verhandlungen und der Vorratsdatenspeicherung zu nennen, die beide mit der Durchsetzung des Urheberrechts verbunden sind. Insbesondere soll hier der Zusammenhang zwischen Sicherheitsdebatte, Verwerterinteressen und Datenschutzbestrebungen deutlich werden. Im Folgenden gilt es in Anlehnung an den Sammelband „Copy.Right.Now!- Plädoyers für ein zukunftstaugliches Urheberrecht“ die Debatte mit besonderem Fokus auf die Kulturflatrate nachzuzeichnen. Als Abschluss wollen wir mit dem Publikum zur technischen Umsetzung insbesondere unter Berücksichtigung von Datenschutzaspekten und Manipulationsresistenz von Messverfahren der Tauschbörsennutzung diskutieren.
Einen knappen Einblick in den Inhalt liefert unser auf die Kulturflatrate fokussierter Text:
Schöne neue Kreative Welt: So viel Content und kaum Geld – Warum die Kulturflatrate diskutiert werden muss.
Der freie und offene Zugang zu Informationen und Kulturgütern im Internet ist eine der größten Chancen der Menschheit, kulturelle Partizipation und Bildung für alle zu ermöglichen. Wichtig ist es, dabei einen fairen Interessenausgleich zwischen Kreativen und NutzerInnen zu gewährleisten. Denn es geht bei der Kulturflatrate gerade um mehr als die Musikindustrie oder eine Vergütung der Zeitungsverleger.
Die Diskussion um die relativ neue Idee befindet sich momentan an einem Punkt, an dem weitere Forschung und Modellentwicklungen nötig sind (vgl. Tschmuck, 2010). Eine Pauschalabgabe kann sicherlich nicht alle Urheberrechts- und Verwertungsprobleme lösen. Sie wäre aber ein Schritt, der die prekäre Situation vieler Kulturschaffenden verbessert, Zukunftsperspektiven eröffnet und eine Entkriminalisierung durch eine faire Vergütung einleitet.
Die Kulturfaltrate vergütet als eine pauschale Abgabe die nicht-kommerzielle Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Internet. Es sollen unterschiedliche Werkarten wie Musik, Film oder auch Text einbezogen werden.
Wo wir gerade stehen
Seit Napster und “Web 2.0” weiß ein Großteil der Menschen, dass das Internet ein wunderbares Mittel zur Verbreitung von Inhalten ist. Millionen von Musikdownloads und Milliarden an page impressions täglich, anscheinend jedoch ohne, dass die UrheberInnen angemessen vergütet werden. Besonders das Klagelied der Musikindustrie ist nicht mehr zu überhören, im Gegensatz zur gesamten Musikwirtschaft, schwinden die Umsatzzahlen in atemberaubenden Tempo dahin. Ob die Tauschbörsen wirklich hauptursächlich für den Umsatzrückgang in vielen Medienindustrien verantwortlich sind, ist umstritten (vgl. Tschmuck, 2009). Über drei Aspekte besteht jedoch weitgehend Einigkeit.
Die Möglichkeiten zur kulturellen Teilnahme und zur kulturellen Produktion, die sich durch die digitalen Informationstechnologien ergeben, resultieren in einem umfassendem sozio-kulturellen Veränderungsprozess, dessen Implikationen so langsam sichtbar werden, der aber vor allem ungeahnte Bildungschancen und Wohlfahrtseffekte bietet.
Die Rechnung zahlen die Kulturschaffenden – die UrheberInnen, Schriftsteller, Musiker, Regisseure, Fotografen etc. und deren Verwerter. Denn obwohl die Verbreitung von Kulturprodukten erheblich vereinfacht wurde, wird es für Kulturschaffende zunehmend schwieriger, Umsätze zu generieren.
Das Urheberrecht in seiner jetzigen Form muss sich verändern. Der Schutzgedanke für Kreative wird im digitalen Alltag immer öfter durch Mittelsmänner und Abmahnmaschinerien zur Perversion getrieben und hat gesellschaftliche Realitäten überlebt. Eine Grundsatzdiskussion über die zukünftige Ausgestaltung des Urheberrechts ist dringend notwendig. Der faire Ausgleich zwischen Kreativen und der nicht-kommerziellen Nutzung im Internet kann auch losgelöst von der grundsätzlichen Reformdiskussion zum Urheberrecht stattfinden, da beide Prozesse unterschiedliche Geschwindigkeiten haben. Insgesamt geht es aber um eine neue Ausgewogenheit des Urheberrechts für die Zukunft.
Die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen haben auch mit geringeren Produktionskosten zu tun; mit einem Laptop und einem Internetanschluss kann man heute hochwertige Musik, Videos und Literatur produzieren und auch gleich weltweit Vertreiben. Das führt zu einer wunderbaren kulturellen Vielfalt, die es zu erhalten und zu vermehren gilt.
“Das ist doch Internetkommunismus!”
Oft kommt der Vorwurf, die Einführung einer Kultuflatrate wäre die Einkehr des “Kommunismus im Kulturbetrieb” (Pfennig 2009) als Pauschalantwort. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung der Markt, wie er vor 20 Jahren existierte, müsse jetzt weiterentwickelt fortbestehen. Eine Änderung oder Umgestaltung würde dabei automatisch zu kommunistischen Verhältnissen führen und damit den Markt außer Kraft setzen.
Richtig ist, der Gedanke einer Kulturflatrate als Weg einer Pauschalvergütung leitet sich zwangsläufig aus existierender regulativer Praxis ab (vgl. Grassmuck, 2010). Denn seit Jahren (vgl. Dolata, 2008.) zeigt sich besonders im Bereich der Musik, dass ein Marktversagen vorliegt. Die Medienindustrie fordert kontinuierlich härtere Gesetze und bessere Durchsetzung existierender Rechte, verkennt dabei aber, dass die Urheberrechtsverletzungen im Internet kein urheberrechtliches Problem sind. Sie sind – wie Tim Renner es formuliert hat – vielmehr “Ausdruck eines Marktversagens”. Wenn der Markt in diesem Umfang versagt, muss der Gesetzgeber eingreifen. Das ist nicht Kommunismus; das ist soziale Marktwirtschaft. Rein technische Lösung wie Digital-Rights-Management-Maßnahmen sind gescheitert und wenig wünschenswert. Eine vollständige Überwachung des Internetverkehrs ist verfassungswidrig und unverhältnismäßig. Angemessen und rechtlich umsetzbar wäre eine Pauschalabgabe auf Breitbandinternetanschlüsse als urheberrechtliche Schrankenregelung zur Kompensation für UrheberInnen, ähnlich der schon existierenden Leermedienabgabe (vgl. EMR & Provet, 2009). Durch diese würde das Marktprinzip in die Tauschbörsen Einzug halten, denn Urheber würden dann entsprechend der Verbreitung ihrer Werke vergütet.
Raubkopierer sind Verbrecher!
Klar ist, Tauschbörsennutzer kaufen auch gerne Musik, Filme, Zeitungen etc. und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ist bewusst, dass das kostenlose Herunterladen urheberrechtlich geschützter Werke oft nicht legal ist und zivilrechtliche Konsequenzen mit sich bringen kann. Trotzdem praktizieren dies um die 16 Millionen deutsche Internetnutzer regelmäßig (GFK 2009) und die Dunkelziffer ist vermutlich noch größer, denn Streaming-Angebote, die tendenziell das Paradigma Eigentum durch Download zugunsten von Zugang durch Streaming ablösen, wurden nicht berücksichtigt. Die rechtliche Verfolgung dieses Verhaltens verursacht hohe volkswirtschaftliche Kosten und belastet die Justiz unnötig. Eine Entkriminalisierung der Nutzer und Vergütung der UrheberInnen wäre daher auch aus volkswirtschaftlicher, rechtspolitischer und gesellschaftlicher Sicht sinnvoll.
Wer soll denn das bezahlen?
Ein grundsätzliches Problem in der Debatte ist, dass es aufgrund der Komplexität der Materie kaum verlässliche Zahlen zu Marktumfang, Marktanteilen und tatsächlichem Nutzungsverhalten gibt (vgl. Tschmuck, 2009). Sicher ist jedoch, eine Kulturflatrate, als urheberrechtliche Schrankenregelung zur Kompensation der Rechteinhaber, kann und soll den Markt für Kulturprodukte nicht abschaffen. Die von der ehemaligen Bundesjustizministerin Zypries für Deutschland in den Raum gestellte Zahl von 50 € pro Monat und Internetanschluss entspräche grob geschätzt dem Umfang des Marktes für Kulturprodukte insgesamt. Das ist eindeutig zu viel. Die Annahme, dass eine kommerzielle Verwertung oder nicht-digitale Nutzung nicht mehr existieren wird, kann von niemanden belegt werden.
Klar ist, dass eine solche Pauschalabgabe die Lösung für ein Teil der aktuellen Diskussion und Problematik bedeutet - nämlich für den digitalen nicht-kommerziellen Bereich. Eine Kulturflatrate kann und muss auf Basis solider Daten berechnet werden, die momentan noch nicht vorliegen. Bevor eine solche Berechnung stattfinden kann, ist jedoch ein möglichst klares Modell der Kulturflatrate nötig. Denn tatsächlich gibt es in der aktuellen Debatte zwar einige klare Vorstellungen, jedoch ebenso viele ungeklärte bzw. zu beantwortende Fragen: Will man nationalstaatlich beginnen, oder gleich den europäischen Weg einschlagen? Sollen die Werkarten abgedeckt werden, für die heutzutage die Privatkopie-Schranke gilt, oder soll eine Ausweitung vorgenommen werden? Will man Vorgaben zur kreativen und sozialen Umverteilung im System durchsetzen?
Kulturflatrate auf dem Weg von der Idee zum Modell
Es existieren verschiedene Ansätze zur Ausgestaltung einer Kulturflatrate. Dabei werden jeweils andere Eigenschaften in den Vordergrund gestellt. Die Idee der reinen Kulturflatrate ist es, eine Schrankenregelung ähnlich der Leermedienabgabe einzuführen, die auf Breitbandinternetanschlüsse erhoben wird; die Höhe der Abgabe kann sich hier nach der Geschwindigkeit des Anschlusses richten. Der klare Vorteil dieses Weges ist die Nutzung bestehender Strukturen, wie Vertragsbeziehungen zwischen Provider und Anschlussinhaber oder Verwertungsgesellschaften zur Verteilung der eingenommenen Beträge.
Die Verteilungspraxis der Verwertungsgesellschaften (VGen), insbesondere der GEMA, sind jedoch problembehaftet und bedürfen Reformen. Diese Probleme bestehen jedoch unabhängig von einer Kulturflatrate und sollten so oder so gelöst werden. Aktuell entscheiden die UrheberInnen über die Verteilungsregeln, die nicht staatlich vorgegeben, sondern halbwegs demokratisch aus der Gruppe der UrheberInnen heraus legitimiert sind. Die weitergehende Demokratisierung der VGen muss jedoch forciert werden.
Eine Zentralstelle für private Überspielrechte (ZPÜ) mit erweiterten Zuständigkeiten würde über die Internetserviceprovider (ISPs) Entgelte sammeln und diese an die Urheber bzw. andere Verwertungsgesellschaften ausschütten. Die Verteilungsmodalitäten müssen sich dabei zwangsläufig nach dem Download- oder Nutzungsverhalten der Teilnehmer richten. Der große Vorteil im Internet gegenüber den Praxen existierender VGen, ist die Möglichkeit, auf vorhandene Technologien zur Auswertung des Nutzungsverhaltens zurückzugreifen, die datenschutzfreundlich und manipulationsresistent gestaltet werden müssten und könnten. Da es bei einer allgemeinen Pauschale nicht auf die individuelle Nutzung ankommt, muss keine personenbezogene Nutzung nachvollzogen werden. Aufgrund der zunehmenden Praxis, gleich alle Werke eines Künstlers runterzuladen, ohne tatsächlich alle zu nutzen, erscheint die Kombination von Downloadzahlen und Nutzungsfrequenz als statistisches Material sinnvoller als Downloadzahlen alleine.
Ferner lässt sich mit Hilfe von Nutzungsdaten, die über ein simples Auszählen der Downloads hinausgehen und auch die Frequenz des Hörens, Ansehens, Lesens mit einbeziehen, eher eine Verteilungsgerechtigkeit erreichen, die auch die systematische Benachteiligung von kommerziell weniger erfolgreichen Künstlern beseitigen könnte. Werke unbekannter Künstler mit kleinen Fangruppen sind ökonomisch oft wenig erfolgreich, werden aber häufig immer wieder konsumiert, sind also von hohem persönlichen, kulturellem Wert.
Die Auswertung der Nutzung von ausgewählten Nutzerinnen und Nutzern würde nicht wie im Fernsehbereich zu einer reinen Fokussierung auf Massenware führen, da das Internet gerade nicht auf 30 Fernsehsender beschränkt ist. Aus Millionen Websites, die mit Milliarden kreativen Werken bestückt sind, kann hier eine nahezu Unendlichkeit des Angebots, die volle Vielfalt erlebt, genutzt und vergütet werden. Eine solche Vorgehensweise würde auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die Relevanz eines Kulturproduktes nicht nur in Verkaufs- bzw. Downloadzahlen zu messen ist, sondern auch eine “Aufmerksamkeitsökonomie” einen Wert hat.
Es gibt also verschiedene Stellschrauben, an denen zu drehen ist, um die Kulturflatrate von der Idee zum konkreten Modell werden zu lassen. Es gilt prinzipiell zu entscheiden, wie die einzelnen Werkarten vergütet werden sollen. Zur Ermittlung der Höhe der Vergütung ist weitere Forschung notwendig. Damit in der schönen neuen kreativen Welt die Urheberinnen und Urheber auf ihre Kosten und die Nutzerinnnen und Nutzer in den Genuss der Werke kommen, bedarf es einer unideologischen, sachlichen Diskussion unter Beteiligung aller relevanten Akteure.
Literatur:
Dolata, Ulrich. 2008. Das Internet und die Transformation der Musikindustrie. Abruf unter: http://www.mpi-fg-koeln.mpg.de/pu/mpifg_dp/dp08-7.pdf [Zugriff am: 08.02.10]
Europäisches Institut für Medienrecht (EMR) und Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (Provet). 2009. Die Zulässigkeit einer Kulturflatrate nach nationalem und europäischem Recht. Abruf unter: http://www.gruene-bundestag.de/cms/netzpolitik/dokbin/278/278059.kurzgutachtenzurkulturflatrate.pdf [Zugriff am 03.02.10]
GfK 2009. Brenner-Studie 2009. Bundesverband der Musikindustrie. Abruf unter: http://www.musikindustrie.de/uploads/media/BrennerStudie2009_01.pdf [Zugriff am 11.02.10]
Grassmuck, Volker. 2010. Erwiderung auf das Musikindustrie-Positionspapier zur Kulturflatrate. Abruf unter: http://www.netzpolitik.org/2010/erwiderung-auf-das-musikindustrie-positionspapier-zur-kulturflatrate/ [Zugriff am 10.02.10]
Pfennig, Gerhard. 2009. Informationsgesellschaft und Kulturflatrate, in kulturpolitische mitteilungen 127.
Tschmuck, Peter. 2009. wie böse ist das file-sharing? teil 18 Abruf unter: http://musikwirtschaftsforschung.wordpress.com/2009/05/25/wie-bose-ist-das-file-sharing-teil-18/ [Zugriff zuletzt am: 27.02.2010]
Tschmuck, Peter. 2010. pro und contra musikflatrate – zusammenfassung des musikwirtschaftsdialogs vom 10. februar 2010. Abruf unter: http://musikwirtschaftsforschung.wordpress.com/2010/02/16/pro-und-contra-musik-flatrate-zusammenfassung-des-musikwirtschaftsdialogs-vom-10-februar-2010/ [Zugriff zuletzt am: 27.02.2010]