SIGINT10 - final10

SIGINT 2010
Konferenz für Netzbewohner, Hacker und Aktivisten

Referenten
Kai Denker
Programm
Tag Day 1 - 2010-05-22
Raum Vortragsraum (MP6)
Beginn 21:00
Dauer 00:45
Info
ID 3841
Veranstaltungstyp Vortrag
Track Netzbewohner
Sprache der Veranstaltung deutsch
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Misstraue Autoritäten - fördere Dezentralisierung?

Macht und Raum in virtuellen Welten

Wie können Macht und Raum zusammen gedacht werden? Die Philosophie hat (neben den Sozial- und Kulturwissenschaften) vor einigen Jahren den Raum für sich entdeckt und Werkzeuge entwickelt, um das Verhältnis von Macht und Raum zu untersuchen. Gleichwohl gibt es noch immer keine ausgereiften Theorien, Macht in virtuellen Räumen zu beschreiben. Eine gängige Kritik lautet, man nehme eher topographische denn topologische Untersuchungen vor, hänge also an einer kontingenten Materialität von Raum und könne damit nicht die allgemeinen Eigenschaften von Räumen in den Blick bekommen. Hierfür wird stattdessen ein unter dem Stichwort „Topologie“ firmierendes Werkzeug favorisiert, das jedoch noch in den Kinderschuhen steckt und seine Tauglichkeit für die virtuelle Welt erst noch erweisen muss.

Ich stelle vor, wie Autorität und Dezentralisierung in den zeitgenössischen Debatten der Philosophie gedacht wird und untersuche, inwieweit sich die Topologie auf netzpolitische Themen wie Zensur oder Netzneutralität anwenden lässt.

Der Raum ist eigentlich ein altes Thema: Die Geometrie ist als eine der ersten systematischen Beschreibungen von Raum zugleich eine der ältesten Wissenschaften überhaupt und auch lange vor dem »spatial turn« des 20. Jahrhunderts arbeitete sich die Philosophie an der Frage ab, auf welche Weise man räumliche Verhältnisse wohl am besten verstehen könnte. Sie nimmt aber den Raum nicht als Objekt, sondern als Produktionsbedingung anderer Phänomene in den Blick. Praktisch zeitgleich mit den philosophischen Raumkonzepten transformierte sich der Blick auf die Macht: von einer Theorie, die Macht als Herrschaftsinstrument der Wenigen über die Vielen denkt, hin zu einem Machtbegriff, der die ganze Vielfalt von Machtverhältnissen einer Gesellschaft einfangen will und daher nicht eine Geschichte der Machtverteilung in großer Perspektive, sondern die »Mikrophysik« der Macht selbst in Subjektivierungstechniken und Wissenskulturen beschreibt.

In den Arbeiten Foucaults und Deleuze/Guattaris verbinden sich diese Macht- und die beschriebene Raumauffassung. Wie dieser neue Zugang aber auf konkrete Untersuchungsfelder angewandt werden kann, ist noch immer umstritten, sodass in kurzer Folge neue »turns« (»topographical« und »topological turn«) ausgerufen wurden, die sich zunehmend von einem materiellen Raumbegriff weg zu einem Abstrakten hin bewegten. So liegen in der Literatur zwar zahlreiche, klassische Studien zum Verhältnis von Raum und Macht vor (So verfolgt Foucault, um ein Beispiel von vielen zu nennen, in »Überwachen und Strafen« die Geburt des Panoptismus unter anderem an der Parzellierung des Raums.), doch sind die Analysekategorien der Philosophie nicht ohne weiteres auf Phänomene der Macht in virtuellen Räumen übertragbar. Tatsächlich scheint dies mit der zunehmenden Abstraktion der Raumforschung erst jetzt möglich geworden zu sein.

Statt einfach nur von der „Parzellierung des Raums“ zu reden, um Machtstrukturen zu etablieren, müssen wir vielmehr die Möglichkeiten der Gestaltung von Topologie, also allgemeiner Raumstrukturen und -ordnungen, auf einer viel abstrakteren Ebene in den Blick nehmen. Anders formuliert: Raumordnungen spielen im virtuellen Raum eine andere Rolle, da wir auf Parzellierung, die Orte voneinander trennt, mit technischen Maßnahmen (beispielsweise DNS-Tunnel) reagieren können. Dabei geht es aber nicht (nur) um eine zunehmende Kontrolle des Netzes durch den Staat, sondern gerade (auch) um die subtilen Machtökonomien einer Mikrophysik, die eng mit Wissenskulturen verbunden ist. Während es beispielsweise in Foucaults Beschreibung zur Herausbildung einer Disziplinarmacht kommt, scheint der virtuelle Raum eine Wissenskultur der Findigkeit zu erzeugen, die ihn für subversive Techniken im Prinzip anfälliger macht. Ich vermute, dass sich dieses Phänomen adäquat mit Deleuze/Guattaris Begriffspaar vom glatten und gekerbten Raum beschreiben lässt.

In meinem Vortrag, der sich als Werkstattbericht aus meiner aktuellen Forschungsarbeit versteht, werde ich eine Einführung in philosophische Raumdebatten geben und diese im Hinblick auf den virtuellen Raum konkretisieren. Anschließend versuche ich, die herausgearbeiteten Analysekategorien auf netzpolitische Themen wie Zensur, Netzneutralität oder Vorratsdatenspeicherung zu übertragen. Sofern sich diese Themen unter dem genannten Beschreibungsmodell fassen lassen, können sie mit historischen Erfahrungen verbunden und somit in einem größeren Rahmen kontextualisiert werden.

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