22C3 - 2.2

22nd Chaos Communication Congress
Private Investigations

Referenten
Daniel Kulla
Programm
Tag 3
Raum Saal 2
Beginn 23:00
Dauer 01:00
Info
ID 426
Veranstaltungstyp Vortrag
Track Society
Sprache deutsch
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Entschwörungstheorie

Verschwörungstheoretiker sind hinter mir her!

Anschließend an den letztjährigen Vortrag über die bedauerliche Mangel- und Fehlrezeption Robert Anton Wilsons soll die Gesellschaft, in der sich populäre Verschwörungstheorien über 9/11 und "USrael" befinden, vorgestellt werden. Verschwörungstheorien können ein lustiges Spielzeug sein, wenn sie nicht geglaubt werden. In der bewußtseinserweiternden Tradition von Wilson könnten Hacker für assoziativen Mindfuck werben. Warum jedoch werden Verschwörungstheorien so selten dekonstruiert und so oft gepusht?

"Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, daß du hinter anderen her sein mußt." Ein Überdenken des Umgangs mit Verschwörungstheorien scheint dringend erforderlich. Eine der global am weitesten verbreiteten Ideologien ist die Vorstellung einer jüdischen Konspiration, welche über die Kontrolle der amerikanischen Ostküste die Welt beherrscht. In diesem antiimperialistisch konnotierten Bild sind die noch vor 100 Jahren klar getrennten Stränge der Verschwörungstheorie - die antisemitische und die anti-geheimbündlerische - verbunden, so daß es für rechte und linke Vereinfacher und Ideologen, für Nazis und Leninisten gleichermaßen attraktiv geworden ist.

Die handgreifliche Folge besteht darin, daß die eigene Regierung oder die wirklichen Herrschaftsstrukturen nur halbherzig angegriffen werden, während nationale Gemeinschaften sich gegen die überproportionierte Bedrohung zusammenschließen. Die gefährlichsten realen Verschwörungen wurden von Verschwörungsgläubigen ins Werk gesetzt und kosteten Millionen von Menschenleben. Grundlegende Veränderungen der Gesellschaft wurden und werden in diesem Kontext mit der Auslöschung bestimmter Gruppen von Menschen verwechselt.

Was Wilson in "Illuminatus!" demonstrierte, waren die Absurdität und die geistige Anregung der Verschwörungstheorie gleichermaßen. Indem er die verschiedenen widersprüchlichen Erzählungen zusammenstrickte, machte er die Möglichkeiten und Gefahren assoziativen Denkens sichtbar.

Diese reflektierte und ausgesprochen komische Art der Aneignung scheint bei heutigen und hiesigen Konspirologen kaum eine Rolle zu spielen. Verbissen beharren Mathias Bröckers wie Gerhard Wisnewski auf ihrer Version der Geschichte und räumen dem bei Wilson so wichtigen Zufall und auch menschlichen Schwächen oder Fehlern keinen Platz mehr ein. Was geschieht, geschieht auf Plan und Anordnung, und auf wessen Plan und Anordnung wird allzuoft nur mäßig kaschiert. Mit der Behauptung einer "Kosher Conspiracy" (Bröckers) und der Verharmlosung antisemitischer Propaganda und Tat schwimmen diese sich gern als vorurteilsfrei und subversiv gerierenden Verschwörungstheoretiker im globalen Mainstream unappetitlicher und gefährlicher Ideologien.

Als Ausgleich zur Empirieferne und Phantasiearmut der analytisch-logischen Weltanschauungen funktioniert der assoziative Mindfuck weiterhin sehr gut. Routinierte Mustererkennung wenig origineller deutscher Journalisten führt jedoch bestenfalls zu Schenkelklopfen, miefiger Selbstbestätigung und Duldung gefährlicher Wahnsinniger.

Mit einem Ausflug in die Geschichte der Verschwörungstheorie und ihres enormen Einflusses auf die Politik der vergangenen 100 Jahre, mit einer Betrachtung von personalisierter Geschichtsschreibung sowie mit Verweis auf aktuelle Beispielen grausiger Verbindungen könnte der Versuch starten, das bunte Spielzeug der konstruktiven Paranoia dem graubraunen Assoziationsautomaten zu entreißen.

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