21C3 Fahrplan Version 1.1.7
21st Chaos Communication Congress
Vorträge und Workshops
Referenten | |
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Daniel Kulla |
Fahrplan | |
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Tag | 1 |
Ort | Saal 4 |
Beginn | 23:00 Uhr |
Dauer | 01:00 |
INFO | |
ID | 312 |
Art | Vortrag |
Themenbereich | Culture |
Sprache | deutsch |
FEEDBACK | |
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Wirklich selbst denken oder durchdrehen
Über die bedauerliche Mangel- und Fehlrezeption Robert Anton Wilsons in Deutschland
Ausgehend von dem Umstand, daß Wilsons Witze hierzulande tödlich ernstgenommen wurden, wird der Frage nachgegangen, wie das deutsche Bild vom "Illuminatus!"-Co-Autor entstanden ist. Dabei spielen die Hacker-Folklore und der Oberkonspirologe Mathias Bröckers die Hauptrollen, die so viele gute Pointen versaut haben.
Wenn es Robert Anton Wilsons Absicht gewesen wäre, seine Ideen zu einem Geheimwissen zu machen, das nur wenigen Initiierten bekannt ist, während es gleichzeitig von einer Fassade umgeben ist, die deutlich anderes vermittelt es wäre ihm zumindest in Deutschland prima gelungen. Vieles spricht allerdings gegen diese Annahme, viel mehr spricht für Wilsons aufklärerischen Drang, der als Initiation ja nichts weiter verlangt, als seine Bücher wirklich zu lesen.
Es ist schwer einzuschätzen, wie verdreht oder angemessen die Rezeption beim US-amerikanischen Publikum gewesen ist. Immerhin ist er dort erheblich bekannter als hier, viele seiner Themen waren von vornherein gründlicher eingeführt, und allgemein scheint ein großer Teil der Öffentlichkeit mit Widersprüchen und Gedankenspielen besser umgehen zu können.
Der in der BRD wahrgenommene Wilson ist ein verstümmelter und auf gefährliche, ja lebensgefährliche Weise missverstandener. Wurde er in Amerika als ein integraler Bestandteil der Sechziger-Revolte (durch seine Sex-Aufklärung) und der Siebziger-Bewusstseinsrevolution (durch seine Zusammenarbeit mit Timothy Leary) begriffen, begannen einige Ökos und Hacker hier im Grunde erst ab dem Deutschen Herbst »Illuminatus!« in Auszügen zu lesen. Dabei sorgten mehrere Umstände dafür, dass das Ungünstigste passierte, was einer Mindfuck-Prosa wie dieser passieren kann: Sie wurde zu ernst genommen. Die verschwörungstheoretischen Anteile waren hierzulande nicht mit breiten Diskussionen wie der über die Kennedy-Ermordung in den USA grundiert; das diesbezügliche Spekulieren hatte viel weniger Tradition, und wenn, dann beinahe ausschließlich im rechtsradikalen Lager.
Von den meisten seiner zahlreichen Bücher gibt es bis heute keine Übersetzungen, die Ausgaben sehen aus wie Perry-Rhodan-Hefte (»Und die Erde wird beben«, erschienen im Sphinx-Verlag) oder wie Eighties layout gone wild (»Schrödingers Katze«) beibehalten wurde die in den Vereinigten Staaten zur Verkaufsförderung eingerissene Macke, jeden Titel auf irgendeine Weise mit den Illuminaten zu verlinken, was zusammen mit der Aufmachung einen Nachgeschmack von all den iterierten Softsexfilm-Titeln hinterlässt (die Illuminaten-Chroniken, die letzten Geheimnisse der Illuminaten, die Masken der Illuminaten, die Einlegesohlen der Illuminaten usw.)
Vor allem die Hacker benutzten Wilson als Folklore und schmückten sich mit seinen Slogans ebenso wie mit der Zahl 42 von Douglas Adams. Hatte Wilson Verschwörungen vor allem entmystifizieren und erklären wollen, wie sie funktionieren, und schließlich ihre Weisheiten so vorhanden abzüglich der Unterwerfung in den Dienst individueller Emanzipation stellen wollen, fixte er dennoch tragische Figuren wie den Hannoveraner Hacker Karl Koch erst auf die Paranoia an. Koch benannte sich nach dem »Illuminatus!«-Helden Hagbard Celine und schritt, getrieben von seinen tatsächlichen Geheimdienstverstrickungen, in eine Welt davon, in der Adam Weishaupt wirklich anstelle von George Washington auf der Dollar-Note zu sehen ist und die Illuminaten wirklich ihre Taten mit versteckten Zahlenspielen auf der Grundlage der 23 begingen. Dass Koch am 23. Mai 1989 ums Leben kam, ist im Glaubenssystem seiner näheren Umgebung ein Beleg für die Triftigkeit der Paranoia, spricht aber eigentlich eher für seine eigene Besessenheit.