12. Chaos
Communication Congress '95
Wie es zum Schlüsselhinterlegungs-
und Aufbewahrungs-Gesetz (SchlAG) kam
Andreas Pfitzmann
Nachdem die Einbruchskriminalität auch dem letzten klargemacht hatte,
daß starke Haus- und Wohnungstüren mit ordentlichen
Schlössern nötig seien, ja die Industrie geradezu vortrefflich
stabile Türen und geradezu geistreiche Schlösser herstellte und
verkaufte, stand die Polizei buchstäblich vor einem neuen Problem: Hin
und wieder stand sie vor der Tür - und (k)ein Einbrecher war dahinter.
Da nun aber das gewaltsame Öffnen der Tür viel schwieriger war
und länger dauerte als vorher und die meisten Häuser vier Seiten
haben, während Polizeistreifen nur aus zwei Personen bestehen, waren
die Einbrecher oftmals schon über alle Fenstersimse, bevor die
Polizei sie hätte sehen oder gar fassen können (sofern es
überhaupt Einbrecher gegeben hatte - was oftmals hinterher kaum zu
entscheiden war). Ähnlich schlecht ging das Ausheben
organisiert-krimineller konspirativer Treffen. Unsere Gesetzeshüter
waren grenzenlos frustriert.
Deshalb wurde der Arbeitskreis "Strategische Unsicherheits-Studien (StUsS)"
beauftragt, Lösungsvorschläge auszuarbeiten. In Nacht- und
Nebelsitzungen wurde erwogen:
- Polizeistreifen werden auf 4 Beamte verstärkt, was die
Personalkosten jedoch verdoppelt und deshalb mit der Maxime sparsamen
Bürgerschutzes nicht vereinbar schien.
- Es werden nur noch dreieckige Häuser zugelassen, so daß
3er Streifen ausreichen und die Kostensteigerung nur maßvolle
50% erreicht. Das Amt für Denkmalschutz protestierte aufs
Schärfste, und da die meisten PolitikerInnen viereckige
Häuser besaßen, war der Vorschlag hiermit vom Tisch.
- Die neuen Türen werden verboten. Dies wurde als politisch nicht
durchsetzbar erachtet, da jahrelang neue Türen propagiert worden
waren und inzwischen jedermensch die Einbruchsproblematik bei
schwachen Türen oder Schlössern begriffen hatte.
- Die neuen stabilen Türen mit einem ordentlichen Schloß erhalten
einen zusätzlichen Notknopf, mit dem sie von außen
jederzeit geöffnet werden können. Die
mißbräuchliche Benutzung des Notknopfs wird mit hoher
Strafe belegt, verdeutlicht durch Beschriftung des Notknopfs mit "Nur
für den Dienstgebrauch von Polizei und Rettungsdienst, bei Gefahr
im Verzug oder Vorliegen einer richterlichen Genehmigung". Die
JuristInnen betonten, dieser Vorschlag behindere die Türen- und
Schlösserindustrie in keiner Form, insbesondere nicht den Export
der neuen Hochsicherheitstechnik. Und Mißbrauch des Notknopfs
sei verboten - sie sähen überhaupt kein Problem. Die
PolitikerInnen lobten, die Lösung stehe nicht im Widerspruch zu
den bisherigen Presseerklärungen und Wahlversprechen. Der
Vorwurf der "Schlüssellüge" könne nicht erhoben
werden. Alle waren sich einig, bis der Industrievertreter der
Schlösser- und Riegelproduzenten - ein verbohrter Ingenieur ohne
jedes juristische und politische Taktgefühl - meinte, warum denn
dann nicht gleich das ganze moderne Schloß samt Notknopf
weggelassen würde und lediglich das Schild montiert: "Eintritt
von Polizei und Rettungsdienst nur bei Gefahr im Verzug oder
Vorliegen einer richterlichen Genehmigung". Das spare Kosten und sei
funktional äquivalent.
Der Arbeitskreis StUsS war ratlos, bis Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult.
Oberklug auf die rettende Idee kam:
- Jeder, der eine neue stabile Tür mit einem ordentlichen
Schloß besitzt, muß einen Schlüssel bei der
örtlichen Polizei hinterlegen.
Der Vorschlag war grandios, leider aber nur unvollkommen durchführbar:
Manche fühlten sich durch den Gedanken, die Polizei könnte
jederzeit unentdeckt in die Privatwohnung wie auch das Büro
eindringen, gestört - und wurden bei der Schlüsselübergabe
noch mit der Nase darauf gestoßen. Andere vergaßen einfach, den
Schlüssel zu hinterlegen.
Nach wenigen Monaten wurde der Arbeitskreis StUsS erneut zusammengerufen,
um eine bessere Lösung zu finden. Da nun wuchs der Vorsitzende des
Dachverbandes der Schlösser- und Riegelproduzenten in
staatsbürgerlichem Gehorsam über sich und Prof. Oberklug hinaus
und schlug folgendes vor:
- Bereits der Schlösserproduzent liefert für jedes
Schloß einen Schlüssel bei der Bundespolizei ab. So
könne das Schlüsselabliefern nicht vergessen werden.
Der Staatsminister Dr. Behüteuchall war entzückt und nahm sich
vor, dies in den Entwurf des Schlüsselhinterlegungs- und
Aufbewahrungs-Gesetzes (SchlAG) hineinzuschreiben. So geschah's und die
Unruhe in der Bevölkerung nahm ab, denn die
Schloßkäufernasen wurden geschont und über die zentrale
computergestützte Schloßverbleibsdatenbank zum
Schloßendverbraucherverwendungsnachweis kaum öffentlich
diskutiert. Manche PolitikerInnen fühlten sich zwar zur Information
der Öffentlichkeit verpflichtet - sie konnten aber mit dem Argument,
nicht der organisierten Kriminalität den Weg zu den Schlüsseln zu
weisen, davon abgebracht werden. Denn in einem waren sich alle einig: Solch
eine Datenbank ist nicht zu schützen - hier hilft nur verstecken und
schweigen. Und so fiel dann auch niemand auf, daß das weitere
Ansteigen der Einbruchskriminalität weniger an zu laschen Gesetzen als
vielmehr daran lag, daß viele Schlüssel doch in die falschen
Hände gelangten. Auch nahmen die konspirativen Treffen nicht ab - sie
fanden nur woanders statt. Auffällig waren die gesündere
Gesichtsfarbe der organisierten Kriminellen im Sommer und häufigere
Erkältungskrankheiten im Winter.
Sie halten diesen AnSchlAG auf Sicherheit, Unverletzlichkeit der Wohnung
und Privatsphäre für frei erfunden und aberwitzig unsinnig. Mit
dem zweiten haben Sie recht, mit dem ersten leider nicht: Stellen Sie sich
statt Wohnungen und Häusern Rechner in der künftigen
Informationsgesellschaft vor, statt Schlössern kryptographische
Systeme, statt materieller Schlüssel digitale Bitmuster, statt
Notknöpfen leicht brechbare kryptographische Systeme, statt
versteckter konspirativer Treffen außerhalb von Wohnungen mittels
Steganographie unentdeckbar gut versteckte geheime Nachrichten.
Überlegen Sie, wie viel leichter und unentdeckter immaterielle
Schlüssel aus der Datenbank entwendet werden können als
materielle Schlüssel. Und dann denken Sie an die Key-Escrow-Debatte
(Clipper etc.) in den USA, die Diskussion über ein Kryptogesetz hinter
verschlossenen Türen (ohne Notknöpfe) in Bonn, lesen Sie das
Prachtwerk unserer Regierung, die
Fernmeldeverkehr-Überwachungs-Verordnung (FUeV), insbesondere Par.
(4). Sie finden Sie unter http://www.thur.de/ulf/ueberwach/.
Wenn Sie danach nicht nur ungläubig staunen, sondern zutiefst entsetzt
sind, dann tun sie was dagegen - das ist in einer Demokratie nicht nur Ihr
Recht, sondern fast auch Ihre Pflicht. Schreiben Sie beispielsweise an den
Innenminister, den Minister für Post und Telekommunikation
(Bundesministerium für Post und Telekommunikation, Postfach 8001,
D-53105 Bonn, Tel. 0228 / 14-0), den Bundeskanzler, die Parteien. Und wenn
Sie einen Polizisten oder eine Polizistin treffen - spenden sie Trost,
falls der Schlüssel zur Verbesserung der Welt fehlt. Nicht daß
uns noch alle der SchlAG trifft.
Andreas Pfitzmann
Technische Universität Dresden Phone (home) +49 351 8380027
Fakultät Informatik (office) +49 351 4575-277
Institut Theoretische Informatik Fax +49 351 4575-255
D 01062 Dresden, Germany e-mail pfitza@inf.tu-dresden.de
Michael Rademacher,
23.12.1995