Andreas Pfitzmann
Hallo allerseits,
nachfolgend der Inhalt zweier mails, die ich vor ein paar Tagen via fiff-l@dia.informatik.uni-stuttgart.de erhielt. Sie enthalten eine gute Argumentesammlung und politisch nutzbare Beispiele:
>From owner-krypto@odb.rhein-main.de Mon Dec 4 18:31:03 1995 Sender: owner-krypto@odb.rhein-main.de Message-Id: <199512041657.AA14556@admin.risc.uni-linz.ac.at> Date: Mon, 04 Dec 95 17:58:12 0100 From: "Kryptographie in \Vsterreich"X-Mailer: Mozilla 1.12 (X11; I; IRIX 5.3 IP20) Mime-Version: 1.0 Newsgroups: at.telekom-initiative,soc.culture.austria,unilinz To: hans@ad.or.at, krypto@rhein-main.de, jkuinfo@alijku04.edvz.uni-linz.ac.at Subject: Kryptographie - Aufruf zur Briefaktion X-Url: news:at.telekom-initiative Content-Transfer-Encoding: 8bit Content-Type: text/plain; charset=3Diso-8859-1 Content-Length: 2764 Sender: owner-krypto@rhein-main.de Precedence: bulk Reply-To: krypto@rhein-main.de Wie in den vergangenen Wochen bekannt geworden, gibt es in der EU nach dem Vorbild der USA Pläne, das Recht auf Anwendung von kryptographischen Maßnahmen zur Geheimhaltung der Kommunikation einzuschränken. Dies entspricht im Zeitalter der Telekommunikation einer Einschränkung des Briefgeheimnisses. Die darauf hin ausgebrochenen Proteste und Diskussionen spielen sich zur Zeit vor allem im Internet, d.h. praktisch unter Ausschluß der allgemeinen Öffentlichkeit ;-), ab. Wir wollen diese Diskussion in Österreich in eine breite Öffentlichkeit tragen und auf politischer Ebene Druck gegen diese Entwicklungen machen. Dazu haben wir ein kurzes Papier entworfen, in dem wir die Thematik in allgemein verständlicher Sprache erklären und unsere Position darlegen: Kein Briefgeheimnis für die Informationsgesellschaft? Dipl. Ing. Andreas Neubacher Peter Pregler Dipl. Ing. Dr. Wolfgang Schreiner Dipl. Ing. Kurt Siegl Prof. DDr. Bruno Buchberger Dieses Papier liegt als PostScript Datei und als ASCII Text (LaTeX) im World Wide Web unter http://www.risc.uni-linz.ac.at/misc-info/crypto/crypto.html und auf dem anonymen FTP Server ftp://ftp.risc.uni-linz.ac.at/pub/crypto/. Ebenso haben wir auf dieser Seite Post- bzw. Fax-Adressen der relevanten politischen Stellen in Österreich gesammelt. Wir werden unser Papier mit einem Begleitbrief an diese Stellen schicken und rufen alle Interessierten dazu auf, diese Aktion durch eigene Beteiligung zu unterstützen. Konkret bitten wir Sie, an die angegebenen Stellen selbst einen Brief zu schicken und Ihre Haltung darzulegen. Dazu können Sie 1. die PostScript Datei ausdrucken und unser Papier in unveränderter Form beilegen (wenn Sie mit der Darstellung und den Forderungen darin einverstanden sind) oder 2. ein eigenes Positionspapier schreiben, indem Sie den ASCII Text als Grundlage nehmen und nach eigenem Gutdünken modifizieren, vorausgesetzt daß Ihr Papier einen anderen Titel erhält und wir auch nicht in der Autorenliste aufscheinen. Wir bitten alle an der Zukunft der Informationsgesellschaft Interessierten, sich an dieser Aktion zu beteiligen, um so die politisch Verantwortlichen rechtzeitig auf die Brisanz der Sache aufmerksam zu machen. Als Ansprechpartner in Fragen Kryptographie und Datenschutz in Östereich steht Ihnen die ARGE DATEN (Email: , WWW: http://www.ad.or.at/office/) zur Verfügung. Mit besten Grüßen, Dipl. Ing. Andreas Neubacher Peter Pregler Dipl. Ing. Dr. Wolfgang Schreiner Dipl. Ing. Kurt Siegl Prof. DDr. Bruno Buchberger WWW: http://www.risc.uni-linz.ac.at/misc-info/crypto/crypto.html Email: crypto@freemail.at
>From owner-krypto@odb.rhein-main.de Mon Dec 4 18:45:23 1995 Sender: owner-krypto@odb.rhein-main.de Message-Id: <199512041700.AA14668@admin.risc.uni-linz.ac.at> Date: Mon, 04 Dec 95 18:01:18 0100 From: "Kryptographie in \Vsterreich"X-Mailer: Mozilla 1.12 (X11; I; IRIX 5.3 IP20) Mime-Version: 1.0 Newsgroups: at.telekom-initiative,soc.culture.austria,unilinz To: hans@ad.or.at, krypto@rhein-main.de, jkuinfo@alijku04.edvz.uni-linz.ac.at Subject: Re: Kryptographie - Kein Briefgeheimnis für die Informationsgesellschaft? References: <49v9aj$42g@alijku06.edvz.uni-linz.ac.at> X-Url: news:49v9aj$42g@alijku06.edvz.uni-linz.ac.at Content-Transfer-Encoding: 8bit Content-Type: text/plain; charset=3Diso-8859-1 Content-Length: 10184 Sender: owner-krypto@rhein-main.de Precedence: bulk Reply-To: krypto@rhein-main.de In diesem Posting finden Sie den ASCII Text unseres Papiers. Mit besten Grüßen, Dipl. Ing. Andreas Neubacher Peter Pregler Dipl. Ing. Dr. Wolfgang Schreiner Dipl. Ing. Kurt Siegl Prof. DDr. Bruno Buchberger WWW: http://www.risc.uni-linz.ac.at/misc-info/crypto/crypto.html Email: crypto@freemail.at Zusammenfassung: ---------------- Im heute anbrechenden Zeitalter der Informationsgesellschaft kann das Briefgeheimnis nur durch Verschlüsselung der übertragenen Nachrichten gewährleistet werden. Dennoch gibt es weltweit Bestrebungen, die Anwendung von Verschlüsselung zu verbieten oder deren Sinn entscheidend zu untergraben. In diesem Papier wird die Situation leicht verständlich dargestellt und es werden Forderungen erhoben, die zum zukünftigen Schutz des Briefgeheimnisses erfüllt werden müssen. Die Situation ------------- Stellen Sie sich vor: - Briefumschläge wären verboten und Sie müßten Ihre Korrespondenz mittels Postkarten abwickeln; - Türschlösser wären registrierungspflichtig und Sie müßten einer Behörde einen Nachschlüssel für jedes Schloß überlassen; - Tresore wären nur erlaubt, wenn Sie bei einer Behörde auch die Kombination hinterlegen würden. Als Begründung würde Ihnen mitgeteilt, daß die meisten kriminellen Organisationen mittels verschlossenen Briefen korrespondierten und ihre Unterlagen hinter versperrten Türen oder in Tresoren aufbewahrten. Um der Polizei auch in Zukunft die Aufdeckung von Verbrechen zu ermöglichen, wären diese Maßnahmen daher unbedingt notwendig. Da Sie selber sicher nichts zu verbergen hätten, hätten Sie auch bestimmt nichts dagegen einzuwenden. Undenkbar? Nur in totalitären Systemen möglich? Genau diese Maßnahmen werden zur Zeit in den demokratischen Staaten Europas diskutiert. Nur geht es dabei nicht um Briefumschläge aus Papier und um Schlösser aus Metall, sondern um die Briefumschläge und Schlösser der Informationsgesellschaft. Das Briefgeheimnis in der Informationsgesellschaft -------------------------------------------------- In der Informationsgesellschaft, die heute im Entstehen ist, wird ein Großteil der Korrespondenz über Computernetze vorgenommen; altbekannte Kommunikationsmittel wie der Briefverkehr werden durch entsprechende elektronische Formen ergänzt oder sogar abgelöst. Um das Briefgeheimnis auch für diese neuen Kommunikationsmittel zu gewährleisten, sind ``elektronische Briefumschläge'' notwendig. Auch sind die zu schützenden Wertbestände dieser Gesellschaft nicht mehr nur Bargeld und Juwelen, sondern vor allem auch Daten und Informationen, die in ``elektronischen Tresoren'' aufbewahrt werden müssen. Heute ist die Kommunikation über Computernetze (insbesondere über das weltweite ``Internet'') mit dem Versenden von Postkarten vergleichbar. Verschicken Sie eine elektronische Nachricht, wird diese Nachricht über eine Reihe von miteinander durch Datenleitungen verbundenen Computern an den Empfänger weitergeleitet. Es ist dabei mit dem entsprechenden Wissen ohne weiteres möglich, Ihre Nachricht auf jeder dieser Datenleitungen bzw. Computer mitzulesen. Das gleiche gilt auch für alle anderen Datenbestände, die auf elektronischem Wege übertragen bzw. gespeichert werden. Die Sicherung des Briefgeheimnisses ----------------------------------- Die einzige Möglichkeit, das Briefgeheimnis auch für elektronische Kommunikation zu wahren, ist die Verschlüsselung der übertragenen Nachricht (in der Fachsprache ``Kryptographie''). Dabei wird eine Nachricht so umgewandelt, daß sie nur der beabsichtigte Empfänger mit Hilfe eines von ihm geheim gehaltenen Schlüssels lesen kann. Für jeden anderen, der nicht im Besitz dieses geheimen Schlüssels ist, besteht die Nachricht nur aus einer anscheinend sinnlosen Folge von Zeichen. Eine Nachricht zu verschlüsseln heißt also, einen Brief in einen Briefumschlag zu stecken und so zu versiegeln, daß ihn nur der beabsichtigte Empfänger öffnen kann. Verschlüsselung ist heutzutage für jedermann möglich. Es gibt dafür frei erhältliche Programme, die eine Nachricht so gut verschlüsseln können, daß sie nach menschlichem Ermessen von niemandem auf der Welt (außer dem beabsichtigten Empfänger) gelesen werden kann. Somit wäre es überhaupt kein Problem mehr, Geschäfts- und Privat-Korrespondenz über Computernetzwerke abzuwickeln. Ohne Furcht vor unerwünschten Mitlesern könnten Sie ihre Firmendaten, ihre Bankauszüge, ihre Kreditkartennummer, ihre Steuererklärung, ihre Liebesbriefe, usw. übertragen, d.h. Daten, die nur Sie und den Empfänger etwas angehen. Damit könnte die Informationsgesellschaft die neuen Kommunikationsmöglichkeiten endlich in ihrem vollen Umfang nützen. Dennoch gibt es weltweit ernsthafte Bestrebungen, das Recht auf Verschlüsselung drastisch einzuschränken oder sogar aufzuheben. Die Einschränkungen -------------------- Das Recht auf Verschlüsselung ist heute weltweit in Gefahr: - Frankreich hat Verschlüsselung für private Personen und Organisationen verboten und bestraft deren Anwendung mit hohen Geld- oder sogar Freiheitsstrafen. Dies entspricht einem Verbot von Briefumschlägen und Türschlössern. - In den USA ist kürzlich die sogenannte ``Clipper-Chip'' Initiative gescheitert. Diese wollte einen Verschlüsselungsmechanismus vorschreiben, der mit einer Hintertür für die Entschlüsselung jeder Kommunikation durch die Behörden ausgestattet worden wäre. Dies entspricht der Verpflichtung zur Anwendung einer bestimmten Serie von numerierten Schlössern, bei deren Herstellung automatisch einer Behörde ein Zweitschlüssel geliefert wird. - Die Kommission der Europäischen Union diskutiert soeben eine Vorlage, bei der jeder Anwender von Verschlüsselungsmethoden seinen geheimen Schlüssel an bestimmte Stellen abliefern muß. Dies entspricht der Verpflichtung, beim Ankauf eines Türschlosses einer Behörde einen Zweitschlüssel zu übergeben. Die Begründung für alle diese Maßnahmen besteht im Wunsch von Polizeibehörden und Geheimdiensten, bei Bedarf die Kommunikation der Bürger abhören zu können, um so Aktivitäten krimineller Organisationen im vorhinein verhindern oder im nachhinein aufdecken zu können. Diese Entwicklung ist gefährlich und führt zu einer nicht zulässigen Einschränkung der Bürgerrechte. Die Gegenposition ----------------- Folgende Gründe sprechen gegen jede Einschränkung des Rechts auf Verschlüsselung: 1. Der Schutz des Briefgeheimnisses. Ohne ein starkes Briefgeheimnis wird die Nutzung der neuen Kommunikationsformen für geschäftliche und private Zwecke entscheidend behindert. In der Informationsgesellschaft kann das Briefgeheimnis aber nicht durch Sicherung der Kommunikationswege (weltweite Computernetze) sondern nur mehr durch Verschlüsselung der übertragenen Nachrichten geschützt werden. 2. Die fehlende Kontrolle. Alle Maßnahmen, die bei Verwendung von Verschlüsselung eine automatische Preisgabe des geheimen Schlüssels erzwingen, höhlen das Briefgeheimnis aus: die Weitergabe des Schlüssels durch die Behörde an unbefugte Dritte ist niemals auszuschließen und in keiner Weise überprüfbar. 3. Der verfehlte Zweck. Die Einschränkung des Rechts auf Verschlüsselung verfehlt ihren eigentlichen Zweck, der Verhinderung und Aufdeckung organisierter krimineller Aktivitäten. Kriminelle Organisationen nutzen keine Kommunikationsmedien, die als unsicher gelten müssen. Wollen sie es dennoch tun, bedienen sie sich auch gegen jedes Verbot der Verschlüsselung. Es existieren Methoden, verschlüsselte Daten in scheinbar unwichtigen Nachrichten praktisch unauffindbar zu verbergen. Eine Einschränkung des Rechts auf Verschlüsselung würde also nur die Möglichkeit geben, gesetzestreue Bürger abzuhören. Alle Initiativen zur Einschränkung des Rechts auf Verschlüsselung sind daher grundsätzlich abzulehnen. Die Forderungen --------------- Um das Briefgeheimnis auch im Informationszeitalter zu sichern, müssen folgende Bedingungen erfüllt werden: 1. Freie Wahl der Verschlüsselungsmethode. Jede Person bzw. Organisation hat das uneingeschränkte Recht, für ihre gesamte Kommunikation und Datenhaltung die ihr geeignet erscheinenden Verschlüsselungsmethoden selbst frei auswählen und ungehindert anwenden zu dürfen. Dies beinhaltet auch das Recht auf Auswahl und Anwendung der zum jeweiligen Zeitpunkt als am sichersten geltenden Methoden. Für Kommunikation und Datenhaltung soll also das gleiche Recht gelten, das jedermann bei der Anschaffung eines Tresors zur Sicherung seiner Wertbestände hat. 2. Geheimhaltung des Schlüssels. Jede Person bzw. Organisation hat das Recht, vor jedermann alle Informationen geheim halten zu können, die die Verschlüsselung ihrer Kommunikation und Datenbestände betreffen. Dieses Recht erstreckt sich auf 1. die Tatsache, daß Verschlüsselung eingesetzt wird, 2. die Methode, die dafür verwendet wird, und inbesondere 3. den für die Entschlüsselung notwendigen geheimen Schlüssel. Dieses Recht beinhaltet auch die Geheimhaltung vor allen staatlichen Stellen und internationalen Organisationen. Für Kommunikation und Datenhaltung soll also das gleiche Recht gelten, das jedermann bei der Geheimhaltung seiner Tresorkombination hat. 3. Gesetzliche Kontrollen. Das Recht auf Geheimhaltung darf nur derart eingeschränkt werden, daß ein richterlicher Beschluß der Exekutive die Möglichkeit gibt, die Datenbestände einer Person bzw. Organisation zu durchsuchen. Die Kriterien für die Genehmigung einer solchen Durchsuchung und für deren Durchführung müssen analog zu den Kriterien sein, die bei Hausdurchsuchungen gelten. Für Kommunikation und Datenhaltung soll also das gleiche Recht gelten, das jedermann bei der Durchsuchung seiner Räumlichkeiten durch die Exekutive hat.
Für den 18. und 19. Dez. 1995 hält die OECD in Paris ein Treffen ab, wo ueber Kryptopolitik geredet wird. Vielleicht kann ja die eine oder der andere da noch solche Argumente einspeisen.
Viele Grüße,
Andreas Pfitzmann
Andreas Pfitzmann Technische Universitaet Dresden Phone (home) +49 351 8380027 Fakultaet Informatik (office) +49 351 4575-277 Institut Theoretische Informatik Fax +49 351 4575-255 D 01062 Dresden, Germany e-mail pfitza@inf.tu-dresden.de