[Chaos-Knoten]12. Chaos Communication Congress '95


In jedem steckt ein Anarchist:

Selbstverteidigung für SekretärInnen

von Krischan Jodies [krischan.jodies@link-goe.zerberus.de]

Wer sich ärgert oder sonst einfach dagegen ist, muß ja nicht gleich eine kriminelle Vereinigung gründen oder Flugzeuge entführen. Kreativität ist bei der Sabotage das Wichtigste.

Das Thema Sprengstoff ließ sich bei einer solchen Veranstaltung natürlich nicht vermeiden. Es ist ebenso vielseitig wie klischeehaft. Die Referenten wiesen jedoch darauf hin, daß das berüchtigte 'Anarchists Cookbook' aus dem Internet und die Bomben-Bauanleitungen aus der verbotenen Zeitschrift "Radikal" im Vergleich zu den Anleitungen, die der Gesetzgeber selbst mit dem Sprengstoffgesetzbuch liefert, geradezu harmlos sind. Dort stehen Bauanleitungen jeweils mit der Einleitung: "Es ist verboten, folgendes zusammenzumischen..." Eine weitere Quelle bietet das in jeder Buchhandlung erhältliche Standardwerk der Anorganischen Chemie.

Mußten deutsche Saboteure bis vor kurzem noch großen Aufwand für ferngesteuerte Bomben treiben, so ist dies dank anonym erhältlichen Pagern (a la SCALL und QUIX) auch hierzulande ganz einfach geworden. Am bequemsten ist ein Scall-Modell mit eingebautem Vibrator, an dessen Stelle ein Relais eingesetzt wird. Zwar geben sich die Vertreiber der Geräte Mühe, die Adresse des Käufers in Erfahrung zu bringen ('Nehmen Sie doch an unserem tollen Preisaussschreiben teil!'), aber wer es will, kann inkognito bleiben.

Nach dem Ausflug in die Pyrotechnik widmete sich die Workshoprunde den weniger spektakulären (und gefährlichen) Methoden, Rechner lahmzulegen.

Sabotage im Büro - ist dies das Anwendungsgebiet für all die Tricks, die Jens Ohlig und Frank Rieger vorstellten? Ein weites Betätigungsfeld für den Techno-Terroristen bietet nämlich jedes Großraumbüro, auf dessen Besitzer der Anschlag geführt werden soll. Zu den einfachsten Gewaltaktionen zählt die gute alte in die Tastatur des Servers gegossene Tasse Kaffee. Mit ein wenig kreativer Energie läßt sich die Tragweite eines solchen Anschlags bereits ausdehnen: Ein weitaus elekronikfeindlicheres Genußmittel als Kaffee - wenn auch nicht so schön klassisch -, sind isotone Durstlöscher, die einfach bessere Kurzschlüsse produzieren. Professionalität zeigt der oder die SekretärIn, wenn er/sie Cola mit Salz zum Einsatz bringt, weil diese Mischung den Eintritt der Wirkung verzögert.

Die Tastatur älterer Terminals, die noch häufig anzutreffen ist, hat aber noch andere Achillesfersen. An ihnen finden sich 'ATXT' Schalter, die, einfach umgelegt, jeden Computertechniker zur Verzweiflung treiben. Denn bevor dieser Schalter in die Diagnose einbezogen wird, sind Monitor, Festplatte, Netzwerkserver usw. dran. Die Anlage wird für mehrere Stunden lahmgelegt.

Wird ein länger andauernder Ausfall des Rechners angestrebt, reicht es nicht, nur in die Tastatur einzugreifen. Das Elektrotoxin muß in den Rechner selbst eingebracht werden. Gut geeignet erscheint ein Gefäß mit Salzsäure vor den Luftansaugpunkten der Netzteilkühlung, das wieder mit sehr willkommener Verzögerung wirkt. Besteht die Möglichkeit, an das Innere eines unerwünschten Computers zu kommen, genügt es, einen Chip herauszuziehen und verkehrt herum hineinzustecken. So einen Fehler zu finden, erfordert erheblichen Aufwand.

Die Floppy kann zur Invasionspforte für Angreifer einer innovativen Sabotageart werden. Es können sich nämlich nicht nur Viren auf der harmlos aussehenden Diskette befinden, sondern auch eine heimtückisch aufgebrachte Zündeinrichtung. Durch Schmirgelpapier ersetzte Magnetscheiben zusammen mit Streichholzköpfen verwandeln die Diskette in ein hochspezialisiertes Feuerzeug. Chemisch versiertere Sekretariatsterroristen benutzen möglicherweise sogar leicht entzündliches Phosphor, das einfach auf die Magnetscheibe der Floppy aufgetragen wird. Es sollen bereits Polizeicomputer bei der Untersuchung beschlagnahmter Datenträger in Flammen aufgegangen sein. Aus dem Publikum kam an dieser Stelle die Bemerkung, daß die Polizei sich selber schon zum Angreifer auf Beweisstücke gemacht hat: Verdächtige 5 1/4 Zoll-Disketten wurden ordentlich gelocht und abgeheftet.

Mittlerweile sind Rechner auf dem Markt, bei denen die Selbstzerstörung fast serienreif und der Angriff durch Computer-Terroristen überflüssig ist. Die Lithiumionen-Akkus, neuerdings in hochwertigere Laptops eingebaut, zeigen sich bei unsachgemäßer Aufladung gegenüber ihren Stromkunden wenig loyal und lassen alles in Flammen aufgehen. Damit kommen die Hersteller durchaus Vorschlägen entgegen, die auf dem CCC 95 entstanden. Dort wurde ein "Ghettoblaster" diskutiert, eine Karte, deren eingebauter Sprengstoff auf Tastendruck (z.B. Alt-F4) den Rechner in die Luft jagt.

Das Gemeinste, was man der empfindlichen Elektronik eines Rechners antun kann, ist, sie hohen Spannungen auszusetzen. Selbst wenn der Rechner durch einen Überspannungsschutz geschützt ist: Spannungen oberhalb von 50.000 Volt wirken trotzdem fatal. Diese Spannungen lassen sich mit der Piezo-Zündung normaler Feuerzeuge erzeugen und in großen Kondensatoren bestens speichern. Solche Kondensatoren finden sich in Fernsehern. Teurer, aber genauso wirksam sind Elektroschockgeräte, die zur Selbstverteidigung verkauft werden. Gelegentlich ist die Hardware so empfindlich, daß schon ein über das Rechnergehäuse geriebener Pullover Schäden verursacht.

Techno-Sabotage beschränkt sich natürlich nicht nur auf Computer. Überwachungskameras z.b. wurden von der Stasi mit durchsichtigem Lackspray ausgeschaltet. Der Fehler sah dann aus wie ein schlecht eingestelltes Objektiv, und von den Überwachern wurde keine akute Gefahr vermutet. Während das Absägen von Strommasten mit Lebensgefahr und großen Anstrengungen verbunden ist, fällt das Ablassen des Öls aus den Transformatoren der Masten viel leichter. Der Spannungsstoß eines Piezo-Gasanzünders bringt auch andere Geräte als Computer dazu, originelle Dinge zu tun. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Viele Geräte werden mit Infrarot ferngesteuert, zum Beispiel Autotürschlösser. Früher war es sogar möglich, mit einer lernfähigen TV-Fernsteuerung das Türöffnungssignal aufzunehmen und die Türen später damit zu öffnen. Dieser Bug ist inzwischen behoben. Immer noch aber läßt sich so ein Auto mit einer kräftigen Überdosis Nonsens-Infrarotstrahlung dauerhaft abschließen. Ultraschallbewegungsmelder (z.B. in Autos) reagieren (außer auf Einbrecher) auch auf Ultraschall-Hundeabwehrmittel.

Leicht zu irritieren sind verschiedene Alarmanlagen. Glasbruchmelder in Schaufenstern reagieren auf ein gegen die Scheibe geschnippstes Fünfmarkstück. Das ist auch den Herstellern bekannt: sie testen die Anlagen nämlich mit Münzen. Es gibt Rauchmeldeanlagen, die erstaunlich gut zwischen den verschiedenen auftretenden Qualmwolken unterscheiden können. Bei Zigarettenqualm verzichten sie dann darauf, das Warenhaus unter Wasser zu setzen. Solche Rauchmelder sind aber wenig verbreitet. Findige Ladendiebe haben Warenhäuser schon dazu gebracht, die Diebstahldetektoren an den Ausgängen abzuschalten: Sie verteilten im Kaufhaus Gutscheine, auf denen die Schaltungen aufgebracht waren, auf die diese Detektoren reagierten.

Wenn es ans Kaputtmachen geht, lassen sich auch die High-Tech-Armeen dieser Welt nicht lumpen. Es ist bereits seit längerem bekannt, daß bei Atombombenexplosionen ein EMP-Effekt (Eletromagnetischer Impuls) entsteht, der in elektrische Geräte hohe Ströme induziert und diese so zerstört. Die Tatsache, daß solche EMP-Effekte auch ohne Atombombenexplosionen erzeugt werden können, ist weit weniger bekannt - nicht ohne Grund. Das diesem Phänomen zugrundeliegende physikalische Gesetz wird nicht verraten; Gerüchte, die trotzdem im Umlauf sind, sind vermutlich falsch. Frank Rieger berichtete von Waffen, die von Flugzeugen aus gezielt Elektronik oder bis zu 1000 Kilometer lange Telefonleitungen zerstören können. Er hat sogar kürzlich eine Anzeige für ein 3500 Dollar teures EMP-Handgerät für den Endverbraucher entdeckt.

Bis dieses Gerät per Versandhauskatalog erhältlich ist, genügt es aber auch, einen Laptop oder ein Handy am Flughafen auf den Tresen zu legen, um als Terrorist verdächtigt zu werden. Denn obwohl in modernen Flugzeugen viele Steuerleitungen auf Glasfaser umgerüstet wurden, kann eine Laptop-CPU, deren elektromagnetische Abstrahlung mit der des automatischen Landesystems eines Airbus kompatibel ist, die Landung hundert Meter hinter die Landebahn verlegen.

Referenten:
Frank Rieger [frank@artcom.de], Jens Ohlig [j.ohlig@bionic.zerberus.de]


Michael Rademacher, 27.12.1995
Archived page - Impressum/Datenschutz