[Chaos-Knoten]12. Chaos Communication Congress '95


Corporate Networks
oder Telekom und die sieben Zwerge

von Hendrik Ambrosius [ha@connect.de]

Vielen Telekom-Kunden ist nicht bekannt, daß der Wettbewerb auch beim voice-Telefonieren schon stattfindet ist. Die privaten Anbieter drängen vor allem zu Großkunden, und die Telekom kann es sich nicht leisten, zu viele Großkunden zu verlieren. Daher gibt es jetzt günstigere Tarife für Geschäftskunden und Verteuerungen für Privatkunden. Telekom macht 60% des Umsatzes mit 5% der Kunden. Diese Situation ist für Geschäftskunden, die ihre Position auszuspielen wissen, sehr günstig, denn noch sind die Telekommunikationstarife in Deutschland im internationalen Vergleich, wenn man einmal von ISDN absieht, teuer. 1995 bot die Telekom nur im Auslandsgeschäft, also außerhalb des Monopols, Rabatte an. Private Discountanbieter bieten auch 1996 weiterhin 10-20% Rabatt auf Telekom-Tarife bei Inlandstelefonaten und 20-35% bei Gesprächen ins Ausland. Auch im Festverbindungsbereich droht Telekom erhebliche Konkurrenz, so daß Festverbindungen, gerade auf langen Strecken, stark verbilligt wurden. Darüber hinaus bietet Telekom noch frei verhandelbare und daher auch oft schwer berechenbare Geschäftskundenrabatte für Vieltelefonierer - bis hin zu Pauschalen unabhängig vom Telefonaufkommen des Kunden. Ein weiterer Bonus für Firmenkunden: Ab 96 weist die Telekom die Mehrwertsteuer aus. Dies kommt einem Rabatt von ca. 13% gleich (in allen Zahlenangaben bereits berücksichtigt). Bei Unternehmen mit hohem Auslandsaufkommen sind durch Sondertarife oder den Wechsel auf private Anbieter mit privaten Netzen Einsparungen von bis zu 40% gegenüber dem Telekom-Tarif von 1995 möglich, selbst wenn man notwendige Investitionen berücksichtigt. Genehmigt sind die Rabatte der Telekom jedoch noch nicht, auf Drängen der SPD im Regulierungsausschuß hat Bundespostminister Bötsch die Telekom daher aufgefordert, eine Lösung für Online-Kunden zu schaffen, die bei der '96er Gebührenreform aufgrund der langen Verbindungen im Ortsbereich besonders betroffen sind.

Mögliche Methoden zur Einsparung von Telefonkosten:

                      Verwendung          Vor- und
                                          Nachteile
   -------------------------------------------------------------
   Festverbindung(1)  zu Niederlassungen  hohe Fixkosten
                      etc., Sprache       Kosten
                      ("außenliegende     budgetierbar(2),
                      Nebenstelle")       nur zu wenigen
                      und/oder Daten      Standorten
                                          sinnvoll

   Privates Netz      Verbindung von      hohe
                      Telefonanlagen      Investitionen und
                                          Fixkosten,
                                          hoher
                                          Telefonkomfort,
                                          Kosten
                                          budgetierbar
                                          nur zu wenigen,
                                          Standorten
                                          sinnvoll

   Corporate Network  Wie privates        Genehmigungs-
                      Netz, plus dial-    pflichtig (BAPT(3))
                      out                 LCR(4)-Software ist
                                          teuer und
                                          pflegeaufwendig

   Call-back          verbilligte         schlechte
                      Auslandtelefonate   Sprachqualität,
                      durch               Abrechnung oft
                      automatischen       über Kreditkarte
                      Rückruf, meist      monatliches
                      via USA             Minimum, z.B. US$
                                          25, zusätzlicher
                                          Wählvorgang,
                                          nicht für Fax /
                                          Modem geeignet

   Call-back mit      Wie call back,      Wie call back
   dialer (5)         auch für            Zusätzl. Wählvorgang
                      Fax/Modem           entfällt, aber
                                          langsamer
                                          Verbindungsaufbau

   Discount-Anbieter  Wie call back, es   wie call back
   mit 0130er Nummer  muß aber kein
                      Rückruf abgewartet
                      werden

Die Situation für Privatkunden

Privatkunden stehen die o.g. Einsparungsmöglichkeiten z.T. gar nicht (Vorsteuerabzug), z.T. nur theoretisch (aufgrund des geringeren Aufkommens) zur Verfügung. Orts- und Nahgespräche werden deutlich teurer, ebenso die Grundgebühr (entfallende Freieinheiten, Doppelanschluß ist in Zukunft nicht mehr verbilligt). Gerade lange Ortsgespräche, die bei Privatkunden häufig sind, werden extrem verteuert.

Die Situation für Online-Kunden ist äußerst ungünstig. Viele besonders günstige Anbieter kommen jedoch für die Datenübertragung weniger in Frage, da die Verbindungsqualität schlecht ist: Call-Back und verwandte Systeme, in denen die Gespräche letztlich über Umwege geführt werden oder ISDN-Leistungsmerkmale nicht voll unterstützt werden (z.B. 64 kbps clear channel, Rufnummernanzeige).

Der Zugang zu Online-Diensten (Ortstarif) wird deutlich verteuert. Die kürzeren Takte bewirken bei den meist langdauernden Verbindungen keine Verbesserung. Höchstens Kurzverbindungen, z.B. E-mail Übertragung oder Nameserverabfragen im ISDN, könnten günstiger werden. Festverbindungen werden zunehmend attraktiver (z.B. Internet-Zugang, Filialanbindung).

Telefonie-über-IP wird auf eigenen Leitungen (kurze Antwortzeiten durch wenige Hops) zunehmend wirtschaftlich machbar. Möglicherweise wird es kurzfristig günstigere Tarife für Online-Zugänge geben. Inwieweit davon jedoch nur Großanbieter (T-Online/Btx, AOL, Compuserve, IBM) oder auch die regional organisierten Internet-Anbieter profitieren können, bleibt abzuwarten.

Wirtschaftliche Situation der Telekom

Die Deutsche Telekom ist der weltweit zweitgrößte Anbieter von internationalen Telekommunikationsdienstleitungen (nach AT&T, vor France Telecom)(7). Das Problem der Telekom: "Der letzte Kilometer ist der teuerste": Privatkunden sind vergleichsweise unwirtschaftlich, da sie bei gleicher Infrastruktur weniger Leistungen in Anspruch nehmen. Für die Mischkalkulation braucht die Telekom daher die Großkunden und muß ihnen hohe Rabatte einräumen, um letztlich der realen Kostensituation gerecht zu werden. Hohe Rabatte für Großkunden wirken zunächst unsozial, sind aber gerechtfertigt, wenn nur so die (immer noch profitablen) Großkunden gehalten werden können.

Andernfalls müßten die Preise für Privatkunden weiter steigen. Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Telekom versuche, vor der Freigabe des Wettbewerbs noch kräftig Reserven aufzubauen, ohne die zu einem Anbieterwechsel fähigen und bereiten größeren Kunden zu verprellen. Als "wehrlose Opfer" bleiben da nur die Privatkunden übrig.

Spätestens 1998 muß das Telefondienstmonopol ("Vermittlung von Sprache für andere") aufgehoben sein (EU-Recht). Der Regulierungsrat steht in einem Zielkonflikt: Die Telekom soll als privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen am Markt bestehen und gleichzeitig soziale Belange berücksichtigen.

Fazit: Der Telekommunikationsmarkt wird immer härter umkämpft, Firmenkunden profitieren dabei erheblich mehr als Privatkunden.

Fußnoten:

  1. auch: Monopol-Übertragungsweg. Auf die technischen Unterschiede soll hier nicht eingegangen werden.
  2. d.h., die Kosten sind prinzipiell fest und können daher genau im voraus geplant werden. Bei Großunternehmen und Behörden oft ein wichtiger Entscheidungsfaktor.
  3. BAPT: Bundesamt für Post und Telekommunikation. Aufsichtsbehörde u.a. für Telekom AG, untersteht dem Bundespostminister.
  4. LCR: Least Cost Routing - Führung einer Wählverbindung über die bei Verbindungsaufbau günstigste verfügbare Strecke, z.B. über Festverbindung bis zu einem Knoten in der Nahzone des Ziels, dann über öffentliches Netz
  5. dialer, "black box": Gerät, das zwischen Endgerät (typisch: Fax) und Amtsleitung geschaltet wird und Auslandsanrufe umleitet, d.h., den call back-Vorgang automatisiert.
  6. OnNet-Traffic: Netzinterner Verkehr, z.B. zu Niederlassungen; wie auch von Mobilfunknetzen bekannt
  7. Quelle: Communications Week International / Yankee Group, nach Umsatz 1994
  8. Quelle: Verband der Postbenutzer


Michael Rademacher, 27.12.1995
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