ChaosComputerClub e.V. Hamburg / FoeBuD e.V. Bielefeld

Überhöhte Telefonrechnungen und die rechtliche Situation des Kunden

Wer muß das bezahlen?
Eine Podiumsdiskussion zwischen Telekom, CCC und Verbraucherschutz über Mißbrauch von Telefonleitungen und die Haftung der Telekom-Kunden.

Das zentrale Thema war der in jüngster Zeit bekannt gewordene Mißbrauch von Telefonleitungen durch organisierte Verbrecherbanden. Aufgrund deutscher Rechtssprechung müssen die Betreiber von Telefonsex-Diensten ihre Leitungen über ausländische Telefongesellschaften abwickeln. Jeder kennt diese Nummern von einschlägiger Printmedien- und TV-Werbung. Sie beginnen allesamt mit "00".

Die Knotenpunkte im Telefonnetz sind nur ungenügend gegen Mißbrauch gesichert. An einem Verteilerkasten der Telekom läßt sich ein sogenannter Dialer an eine wildfremde Telefonleitung anschließen, der dann vollautomatisch programmiert seine eigene Service-Nummer anruft. Dem armen Telekom-Kunden, dessen Leitung angezapft wurde, werden also die Gebühren berechnet, und die Betreiberfirma der Servicenummer kassiert 50% davon. Diese Aktion erinnert sehr stark an den legendären Haspa-Coup Mitte der 80er Jahre, bei dem mit Gebühren belegte Seiten des CCC im BTX mit Hilfe eines fremden Zugangscodes - nämlich dem der Haspa - von CCC-Hackern immer und immer wieder abgerufen wurde. Die Spannungen und die Empörung über die mangelnde Kontrolle der Telekom über ihr Netz äußerten sich während der Diskussion auf dem 11. CCCongress in lautstarken Beschimpfungen des Telekom-Stellvertreters Klaus Busch - dem Leiter des Privatkundenvertriebes der Telekom Bonn. Busch dementierte nicht, daß gegen Telekom-Mitarbeiter Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden - ein Beweis gegen sie gäbe es bislang jedoch noch nicht. Busch wies allerdings die Beschuldigungen des Nachrichtenmagazins "Focus" heftig zurück, mit denen der Telekom vorgeworfen wird, sie interessiere sich nicht für die Fälle. Herr Busch behauptete, er habe sich persönlich der betroffen Kunden angenommen. Es sei durchaus möglich, gab Busch zu, daß in den Abrechnungen der Kunden Fehler auftreten.

Die Telekom betreibt eines der weltgrößten Abrechnungssysteme; monatlich werden die Telefonate von vielen Millionen Kunden bearbeitet, und dabei könne sich schon einmal ein Fehler einschleichen. Der Prozentsatz der reklamierten Rechnungen sei aber immer noch verschwindend gering, so Busch. Und wenn es in einige Fällen zu unberechtigten Zahlungsaufforderungen kommen würde, zeige sich die Telekom auch kulant: der reklamierte Betrag wird erstattet und die Monatsgebühr wird auf Basis der vorhergehenden Monate als Mittelwert geschätzt. Wenn ein Kunde eine zu hohe Telefonrechnung reklamiert, wird ein zweiter Zähler in der Vermittlungsstelle installiert und der Kunde darüber informiert. Erfolge eine erneute Reklamation, könne man durch Zählervergleich erkennen, ob die Leitung angezapft wurde oder ob der Kunde die Gebühren selbst verursacht hat. Bei jeder zweiten Reklamation spielten laut Busch immer ausländische Info-Dienste (Sex-Telefonnummern) eine Rolle. Einerseits ist es natürlich möglich, daß der Anschluß wirklich illegal angezapft wurde.

Ungleich wahrscheinlicher ist allerdings, daß der Kunde sich nicht über die Kosten seiner Gespräche bewußt ist oder ein anderes Familienmitglied ohne Wissen der anderen telefoniert. In einem Beispiel nannte Herr Busch einen Mitarbeiter der Telekom, der aufgrund einer Reklamation den Anschluß einer Dame überprüfte. Während der Kollege noch unterwegs war, wurde eine Wählverbindung auf eine ausländische Sex-Telefonnummer festgestellt. Nachträglich stellte sich heraus, daß der der Ehemann im Nebenraum heimlich diese Nummer angerufen hatte - nicht zum ersten Mal. Professor Dr. Klaus Brunnstein vom Fachbereich Informatik der Universität Hamburg behauptete laut Busch, daß die Telekom ihre Technik "nicht im Griff" hätte und seit der Digitalisierung der Telefondienste total von ihren Lieferanten Alcatel und Siemens abhängig sei.

Leider ging es bei der abschließenden Diskussion sehr unsachlich und beleidigend zu. Ein Zuhörer warf der Telekom vor, es wäre eine schreiende Ungerechtigkeit, daß im Reklamationsfall überhöhter Telefonrechnungen die Beweislast beim Kunden liege und nicht bei der Telekom. Die Kunden hätten praktisch keine Möglichkeiten, ihre Unschuld zu beweisen. Busch konnte nur bestätigen, daß in den meisten Fällen die Unschuld nicht zu beweisen wäre. Verteilerstücke lägen z.T. sogar innerhalb fremder Wohnungen. Man könne den Anschluß nur schützen, indem die Endpunkte verschlossen würden, sprich die TAE-Dose im Wohnzimmer des Kunden verplombt würde. Derzeit würde ebenfalls ein Einzelverbindungsnachweis als mögliches Beweismittel angeboten werden, allerdings nicht kostenlos. In Zukunft wäre auch ein Kennungsaustausch zwischen Dose und Vermittlungsstelle möglich. Auch von einer Kodierung zwischen diesen beiden Punkten war die Rede. Ein Zuhörer behauptete, wenn ein Zuhälter als jemand definiert sei, der mit organisiertem Sex arbeite, dann sei die Telekom "der größte Zuhälter". Busch machte jedoch darauf aufmerksam, daß die Telekom nicht die Bevölkerung zensieren könne. Zwar erntete er jedesmal Gelächter, wenn er statt dem Begriff "Sex-Telefonnummer" den Begriff "Informations-Datendienst" verwendete, versuchte damit allerdings auch deutlich zu machen, daß der Inhalt der Gespräche auf Telefonleitungen für die Telekom nicht von Interesse ist. Er leugnete nicht, daß die Telekom ein großes finanzielles Interesse am Benutzen dieser Telefonnummern habe, da sie einen erheblichen Teil der Auslandstelefongespräche ausmachen. Sex-Telefonnummern, die in den Verdacht der illegalen Nutzung geraten sind, sind mittlerweile nur noch über die Vermittlung zugänglich: "Wir regeln den Verkehr jetzt mit der Hand". Ein weiter Vorwurf betraf den gefährlich großen Kreditrahmen der Telekom. Eine Bank würde schließlich auch keinem Neukunden unbegrenzten Kredit gewähren. Ein Telekom-Kunde könne jedoch beliebig viel telefonieren. Auch wenn Busch hierzu keine konkrete Lösung anbieten konnte, seien Vorbereitungen zu Gegenmaßnahmen in diesem Punkt bereits angelaufen.

Busch erhielt eine Reihe von Vorschlägen und auch bekannten Regelungen von ausländischen Telefongesellschaften, von wiederaufladbaren privat nutzbaren Telefonkarten für spezielle Telefonanschlüsse bis hin zur Sperrung sämtlicher Nicht-Ortsgespräche. Viele wären bereits in Vorbereitung. Bis zur Entmonopolisierung dürfen wir also auf eine ganze Reihe von technischen Neuerungen gespannt sein. Das zentrale Ziel sei mehr Transparenz am Telefonanschluß. Der Kunde soll in Zukunft eine detaillierte Abrechnung erhalten (aufgesplittet in Ortsgebühren, Ferngebühren und Auslandsgebühren). Gegen die aktuellen Fälle der illegalen Anklemmung seien spezielle Frühwarnsysteme in Entwicklung, die in allen digitalen Regionen bereits eingesetzt werden können. Wer selbst durch diese Maschen falle, könne nur noch auf Kulanz hoffen, die ab Januar bei der Telekom angeblich noch größer geschrieben werden soll. Zudem sei für nächstes Jahr eine erneute schriftliche Aufklärungskapagne zum Thema ausländische und Service-Telefonnummern geplant.

Christoph Haas <signum@torfhh.hanse.de>

Chronik:

Die Entdeckung des Großen Telefonsexschwindels

Das Chaos begann am 7. Dezember 1994 mit einem Artikel des "International Herald Tribune", in dem berichtet wurde, daß Telekom-Mitarbeiter durch Anklemmen von illegalen Wähleinrichtungen einen Schaden von 50 Millionen DM verursacht hätten. Laut Stellungnahme der Telekom habe dieser Mißbrauch lediglich bei der amerikanischen Telefongesellschaft MCI stattgefunden. Gegen keinen Telekom-Mitarbeiter werde derzeit ermittelt. So jedenfalls verlautete es um 13:00 Uhr.

Um 16:30 Uhr wurden bei verdächtigten Firmen Hausdurchsuchungen durchgeführt. Eine Firma wurde auf frischer Tat ertappt, als sie gerade auf 30 (dreißig!) Telefonleitungen Ferngespräche auf Sex-Telefonnummern im Ausland laufen hatte. Die Gebührenzähler waren abgelötet - angeblich von Telekom-Mitarbeitern. Zwei Verdächtige wurden verhaftet. Der Pressesprecher der Telekom, ließ um 17:45 Uhr verlauten, daß zwar auch Telekom-Mitarbeiter betroffen seien, aber solcher Mißbrauch unmöglich auf Kundenleitungen passieren könne. Dies ist leider sachlich nicht richtig: Das Anklemmen in einem Verteilerkasten ist prinzipiell immer möglich. Angeblich wäre das Anklemmen sofort aufgefallen. Da Verteilerkästen aber entweder als verschlossene graue Klötze in der Landschaft stehen oder in verstaubten Kellern von Mehrfamilienhäusern angebracht sind, wird wohl niemand dort einen Mißbrauch entdecken, wenn dieser nicht gerade zu massiven Störungen führt oder zufällig entdeckt wird. Aber Mißstände werden nur selten von der Telekom öffentlich zugegeben.

Im Januar 1994 wurde öffentlich gemacht, daß geklonte B-Netz-Telefone im Umlauf waren. Diese hatten die gleiche Kennung wie vorhandene Funktelefone und können damit auf deren Kosten telefonieren. Eins der beschlagnahmten Geräte hatte sogar einen Wahlschalter, mit dem es sich als jedes beliebige Gerät ausgeben konnte. Auch in dem Fall weigerte sich die Telekom, einen Mißbrauch auf Kosten ihrer Kunden einzugestehen.

Christoph Haas <signum@torfhh.hanse.de>


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Stefan Kurtz,06.Jul.1995
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